„Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“, – ich erinnere mich noch gut an das Fang- und Lauf-Spiel aus meiner Kindheit, das heute – Gott-sei-Dank – weitgehend aus dem Spielrepertoire der Kinder verschwunden ist. Die Frage „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ sollte die Angst vor dem Tod aufgreifen, was uns aber im Spiel gar nicht wirklich bewusst war. Und so war das Spiel eher mit heiterem Gelächter begleitet, wenn wir auf einen bestimmten Zuruf vor dem „schwarzen Mann“ davonliefen und dieser uns fangen musste. Die Angst konnte dabei der überwiegenden Spielfreude nicht standhalten.
Heute wünsche ich mir manchmal diesen unbeschwerten Optimismus aus jenem Kinderspiel zurück: einfach der Angst entgegen lachen, sie aus- und weglachen. Leider ist das in diesen Zeiten nicht so einfach. Soziologen sagen, dass wir heute in einer Gesellschaft der Angst leben. 2024 wurden die folgenden zehn größten Ängste der Deutschen erhoben: politischer Extremismus (Platz 10 mit 46%), weltweite autoritäre Herrschaften (Platz 9 mit 46%), schlechte Wirtschaftslage (Platz 8 mit 48%), Spaltung der Gesellschaft (Platz 7 mit 48%), Überforderung der Regierenden (Platz 6 mit 49%), Steuererhöhungen und Leistungskürzungen (Platz 5 mit 50%), Spannungen gegenüber ausländischen Menschen (Platz 4 mit51%), unbezahlbarer Wohnraum (Platz 3 mit 52%), zu viele Flüchtlinge (Platz 2 mit 56%) und steigende Lebenskosten (Platz 1 mit 57%).
Bereits 1990 schrieb Konstantin Wecker ein düsteres Lied der Angst, das jetzt nach 35 Jahren wieder brandaktuell ist. Darin heißt es:
Und wenn du, wie früher, von mir
Lieder der Hoffnung verlangst, –
da ist zwar ein Sehnen in mir,
aber eigentlich habe ich Angst:
Ich hab Angst um die Kinder und Narren,
die Verwundbaren und die Bizarren,
um die Suchenden und die Verirrten,
Komödianten und geistig Verwirrten,
um die seitlich Umgeknickten,
um die Liebenden und die Verrückten,
alle, die sich verschwendend verschenken,
die sich selber durch´s Leben lenken,
alle, die mit dem Herzen denken.
Und natürlich, – so selbstlos bin ich nicht:
Ich hab Angst um dich und um mich.
Passend dazu fallen mir die Worte von Bischöfin Mariann Edgar Budde ein, die sie im Gottesdienst bei der Amtseinführung von Donald Trump dem Mister President zugesprochen hat:
„Lassen Sie mich eine letzte Bitte vorbringen, Herr Präsident.
… Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie, Erbarmen mit den Menschen in unserem Land zu haben, die jetzt Angst haben.
Es gibt schwule, lesbische und Trans-Menschen in demokratischen, republikanischen und unabhängigen Familien, von denen einige um ihr Leben fürchten.
Und die Menschen, die unsere Ernte einbringen und unsere Büroräume reinigen, die in Geflügelfarmen und Fleischverarbeitungsbetrieben arbeiten, die das Geschirr spülen, nachdem wir in Restaurants gegessen und gearbeitet haben, die Nachtschichten in Krankenhäusern machen, – sie sind vielleicht keine Staatsbürger oder haben nicht die richtigen Papiere, aber die überwiegende Mehrheit der Einwanderer sind keine Kriminellen. …
Ich bitte Sie, Herr Präsident, Erbarmen mit denen … zu haben, deren Kinder befürchten, dass ihnen ihre Eltern weggenommen werden …“
Ja, Angst regiert in diesen Zeiten die Welt in einem Maß, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe.
Wie sollen wir damit umgehen?
Die Natur macht es uns in diesen Wochen eindrücklich vor: entgegen der noch winterlichen Kälte strecken die Bäume und Sträucher ihre prallen Knospen ins Licht. Der frostige Boden kann die ersten Blumen nicht zurückhalten. In den Morgenstunden zwitschern die Vögel so laut ihren Gesang in die Dämmerung wie zu keiner Zeit sonst im Jahr. Es scheint als würde die Natur dem Winter in einem unbändigen Trotz entgegentreten.
Und Trotz kann eine Kraft entwickeln, die niemand unterschätzen sollte!
TROTZ-DEM!
TROTZ-DER Angst! Trotze dem Pessimismus! Trotze dem Sog der Hoffnungslosigkeit.
Wir können Angst nicht einfach weg reden. Aber wir können ihr etwas entgegensetzen.
Martin Luther hat einmal gesagt: „Du kannst nicht verhindern, dass die Vögel um deinen Kopf kreisen. Aber du kannst verhindern, dass sie in deinen Haaren Nester bauen.“
In diesem Sinne ist das Wort TROTZDEM für mich ein Osterwort.
Auch Jesus hatte Angst als er am Abend vor seinem Tod im Garten Gethsemane gebetet hat. Fürchterliche Angst hat ihn in diesen Momenten erschüttert. Aber er konnte der Angst den Willen seines Vaters entgegenhalten, weil er wusste, dass mit diesem Vater alles möglich ist.
Wenn wir in diesen Tagen das Osterfest feiern, müssen wir unsere Ängste nicht ausklammern. Aber wir können unsere Hoffnung danebenlegen. Und dann hat die Angst gleich nicht mehr soviel Gewicht. Es liegt an uns, wieviel Macht wir der Angst in unserem Leben einräumen. Oder ob wir unserem Vater im Himmel zutrauen, dass bei ihm alles möglich ist, – auch der Sieg über unsere Ängste.
Und weil ich mit einem Kindervers begonnen habe, möchte ich auch mit einem solchen schließen. Diesmal von Peter Maffay:
„Riesen sind nur halb so groß, sind ja lange Zwerge bloß!
Riesen haben Riesenangst,
wenn man ihnen auf der Nase tanzt!“
So wünsche ich uns in diesen bewegten Zeiten viele Trotzdem-Momente und genügend frühlinghaften Schwung, um unseren Ängsten auf der Nase herum zu tanzen.
Bleiben Sie behütet!
Ihre Gisela Fritsche
Dekanatsreferentin
